Sprachgesellschaften: Pflege der Volkssprachen

Sprachgesellschaften: Pflege der Volkssprachen
Sprachgesellschaften: Pflege der Volkssprachen
 
Die Italiener gingen voran. Seit dem 15. Jahrhundert bemühten sich zahlreiche Gesellschaften um die Pflege der neuen Volkssprache. An ihrer Spitze stand, 1582 in Florenz gegründet, die »Accademia della Crusca«. Eine ihrer bedeutendsten Leistungen war das »Vocabulario degli Accademii della Crusca«, das 1612 herauskam. »Crusca« bedeutet »Kleie«, spielt also darauf an, dass die Kleie säuberlich vom reinen Mehl der Sprache zu trennen sei. 1600 wurde Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen während einer Italienreise in die »Accademia« aufgenommen. Gemeinsam mit Caspar von Teutleben hob Fürst Ludwig am 24. August 1617 die erste deutsche Sprachgesellschaft aus der Taufe.
 
Am italienischen Vorbild orientierten sich sowohl das Programm wie der sprechende Name und die emblematische Einkleidung, die das Unternehmen und seine Mitglieder zieren sollten. Man gab sich den Namen »Fruchtbringende Gesellschaft« und wählte als »Gemählde« den »Indianischen Palmen- oder nusbaum« (Kokospalme); der Wahlspruch lautete »Alles zu Nutzen«. Fürst Ludwig, das erste Oberhaupt, nannte sich »Der Nährende« und führte als Emblem ein Weizenbrot mit der Devise »Nichts Besseres«. Zweck der »Fruchtbringenden« war die Pflege geselliger Tugend sowie die Hochschätzung und Reform der deutschen Sprache. So sollten die Gesellschafter laut Satzung »I. erbar / weiß / tugendhaft / höflich / nutzlich und ergetzlich / gesell- und mässig sich überall bezeigen / rühm- und ehrlich handeln / bey Zusammenkunften sich gütig / frölich und vertreulich / in Worten / Geberden und Werken treulichst erweisen«, ferner soll es ihnen »II. und vor allen Dingen obligen / unsere hoch geehrte Muttersprache / in ihrem gründlichen Wesen / und rechten Verstande / ohn Einmischung fremder ausländischer Flikkwörter / sowohl in Reden / Schreiben als Gedichten / aufs allerzier- und deutlichste zu erhalten und auszuüben«. In erster Linie zielte die »Spracharbeit« also auf Sprachreinheit, war doch, wie ein Gutachter klagt, »die vralte, edle, raine, teutsche Heldensprach dermaßen gestümmelt, verfelscht, mit französ- vnd wälschen worten also geflickt, vermengt vnd verunzieret, das wan ein rechter gebohrner Teutscher irgend ein buch brief oder rede hatte lesen oder hersagen hören, er schwärlich ohne Dolmätschen vnd Wörterbuch den inhalt derselben hette begreiffen können«.
 
Wie pedantisch er auch daherkommen mochte, der Ruf nach der Sprachreinheit war verständlich angesichts des monströsen Kauderwelschs, das sich eingebürgert hatte, desgleichen der patriotische Ton, der sich gegen die politische, gesellschaftliche und konfessionelle Zerklüftung der deutschen Verhältnisse wandte. Es war nur konsequent, dass man dann weiter ausgriff, Wörterbücher plante, Dichtungslehren verfasste, Übersetzungen in Angriff nahm, Grammatiken und Sprachgeschichten herausbrachte, die samt und sonders um das Ziel kreisten, der deutschen »Hauptsprache« ihren angestammten Platz - nach und neben dem Hebräischen, Griechischen und Lateinischen - zu verschaffen und ihre Fundamente zu sichern. Der Sprachwissenschaftler, der die Intentionen der »Fruchtbringenden Gesellschaft« am entschiedensten in die Tat umsetzte, war Justus Georg Schottel mit dem Gesellschaftsnamen »Der Suchende«. Nach einer »Teutschen Sprachkunst« und einer »Teutschen Vers- oder Reim-Kunst« veröffentlichte er 1663 sein zusammenfassendes Hauptwerk, die »Ausfuehrliche Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache / Worin enthalten Gemelter dieser Haubt Sprache Uhrankunft / Uhraltertuhm / Reinlichkeit / Eigenschaft / Vermoegen / Unvergleichlichkeit / Grundrichtigkeit / zumahl die Sprach Kunst und Vers Kunst Teutsch und guten theils Lateinisch voellig mit eingebracht. ..«. Mit circa 1500 Quartseiten stellt es das grundlegende linguistisch-germanistische Werk des Barockzeitalters dar, eine ausgeklügelte Verbindung von Sprachtheorie, Grammatik und Poetik, die Schottel später das Ehrenprädikat eines »Jacob Grimm des 17. Jahrhunderts« eintrug.
 
Die »Fruchtbringenden« waren attraktiv; bis zum Jahr 1680 zählten sie 890 Mitglieder, die meisten wurden in der Amtszeit Ludwigs von Anhalt-Köthen aufgenommen. Strenge Rituale und Zeremonien begleiteten die Aufnahme. Jedes Mitglied erhielt einen Gesellschaftsnamen und wählte ein ingeniöses, natürlich »fruchtbringendes« Emblem aus der Pflanzenwelt, das mit Wahlspruch und Auslegung versehen wurde. Zu den Adligen, die bei weitem in der Überzahl waren, gesellten sich bald verdiente Bürgerliche, insbesondere Männer der Feder. Der Standesunterschied sollte nicht gelten. Frauen wurden nicht zugelassen, Geistliche waren nicht erwünscht; lediglich Johann Valentin Andreä, »Der Mürbe« und der dichtende Pastor Johann Rist, »Der Rüstige«, wurden akzeptiert. Dass sich insbesondere Literaten angezogen fühlten, versteht sich auch deshalb, weil sie das Prestige der Sprachgesellschaft für sich und ihre Werke nutzen konnten. So findet man in ihren Reihen die Prominenz der deutschen Barockliteratur: Sigmund von Birken mit dem Gesellschaftsnamen »Der Erwachsene«, Andreas Gryphius, »Der Unsterbliche«, Georg Philipp Harsdörffer, »Der Spielende«, Friedrich von Logau, »Der Verkleinernde«, Johann Michael Moscherosch, »Der Träumende«, Martin Opitz, »Der Gekrönte«, Philipp von Zesen, »Der Wohlsetzende«. Regelrechte Tagungen freilich waren selten und fanden allenfalls im kleinsten Kreise statt. Auch gemeinschaftliche Projekte kamen unter diesen Umständen kaum zustande. Man musste sich mit dem Schriftverkehr begnügen. Der überkühne Einfall, hinter der Gesellschaft einen Geheimbund oder gar die Ursprünge der Freimaurerei aufspüren zu wollen, geht ins Leere.
 
Kein Wunder jedenfalls, dass die »Fruchtbringende Gesellschaft« Nachahmer fand. In Hamburg gründete Philipp von Zesen wohl 1643 die »Deutschgesinnete Genossenschaft«, die sich in Zünften organisierte und die Rose zum Sinnbild wählte; ihr gehörten gut 200 Mitglieder an. Wesentlich kleineres Format wies die schon 1633 gegründete »Aufrichtige Tannengesellschaft« in Straßburg auf. Eine wichtige literarische Rolle spielte der »Pegnesische Blumenorden«, den 1644 Georg Philipp Harsdörffer und Johannes Klaj stifteten, eher als Vereinigung der Nürnberger Dichterschule denn als strikte Sprachgesellschaft. Hier waren auch Frauen zugelassen, da nach Sigmund von Birken »die Natur dieses Geschlechte von der Tugend- und Weißheit-Fähigkeit nicht ausschließe«. Zu nennen ist schließlich der »Elbschwanenorden«, den Johann Rist 1658 begründete und bis zu seinem Tod leitete. Das Emblem des Schwans bezeichnete die Ordensprinzipien »Träue / Tugend und Ehre«; 45 Mitglieder werden gezählt, war man doch auf Qualität bedacht: »Wir begären nicht vile / sondern gute Leute«, und das hieß vor allem gekrönte Poeten.
 
Puristisch, patriotisch, protestantisch hat man die barocken Sprachgesellschaften genannt. An biederer Pedanterie fehlte es nicht. Sie selbst bereits mussten sich gegen beißenden Spott verwahren. Noch Friedrich Gundolf belegte die »Fruchtbringenden« und ihre Nachfolger mit den Titeln »närrische Eigenbrötelei«, »schwerfällige Kauzerei« und »gestelztes Affentreiben«, mit Blick auf die »horndummen Teutschfexe« seiner Gegenwart. Die moderne Forschung, vor allem mit der Sichtung der vielfach noch unbekannten Dokumente und Archivalien beschäftigt, urteilt leidenschaftsloser. Sie sieht in den Sprachgesellschaften einen sprach- und literaturgeschichtlichen Gärungsstoff und die Vorläufer des Akademienwesens der Aufklärung.
 
Prof. Dr. Hans-Jürgen Schings

Universal-Lexikon. 2012.

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